„Wenn sie jemanden sehen, der an den Rollstuhl gefesselt ist: Binden Sie ihn los!“

„Wenn sie jemanden sehen, der an den Rollstuhl gefesselt ist: Binden Sie ihn los!“

Raúl Krauthausen ist ein prominenter Medien-Mensch und erfolgreicher Unternehmer. Er selbst bezeichnet sich als Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit. In einem Interview, dass er dem Zimmermann-TeamReport gegeben hat, plädiert er für eine vorurteilsfreie und unverkrampfte Sprache, wenn es um behinderte Menschen geht.

Herr Krauthausen, was wünschen Sie sich grundsätzlich von unserer Gesellschaft im Umgang mit Menschen mit Behinderung?
Es sollte in erster Linie wirklich der Mensch gesehen werden und nicht seine Behinderung. Die wird meistens „überhöht“. Und dahinter verschwindet dann die vielschichtige Persönlichkeit mit ihren Ansichten, Zielen, Eigenschaften und Interessen. Von Sanitätshäusern wünsche ich mir übrigens,

dass sie in ihrer Werbung nicht vergessen, dass ein Mensch auch mehr ist, als seine Gesundheit. Meiner Meinung nach sollte man stärker die Möglichkeiten seiner Teilhabe am gesellschaftlichen und familiären Leben in den Mittelpunkt stellen.

Apropos Teilhabe: Sind andere Länder in Sachen Inklusion eigentlich schon weiter als Deutschland?
Ja, besonders in Nordamerika, aber auch in Großbritannien oder Östereich ist man weiter. Bei uns höre ich immer wieder, zuerst müssten die Barrieren in den Köpfen weg. In den genannten Ländern hat man zuerst per Gesetz die Barrieren in der Umwelt und Gesellschaft beseitigt, z. B. in der Arbeitswelt oder in Restaurants.

Welche typischen Vorurteile oder Sichtweisen von Nichtbehinderten beobachten Sie gegenüber Menschen mit Behinderung?
Nichtbehinderte glauben oft, genau zu wissen, was wir brauchen oder nicht brauchen. Das ist ungefähr so, als wenn Männer bestimmen, wie lang der Rock einer Frau sein darf. Jeder hat aber ein Recht auf Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Freiheit! Das schließt auch ein, dass Menschen mit körperlichen Handicaps selbst entscheiden können, ob und wann sie Risiken eingehen wollen. Leute ohne Behinderung müssen nicht „auf sie aufpassen“.
Außerdem: Gern sehen uns Nichtbehinderte entweder als Helden („Das schafft der trotz seiner Behinderung!“) oder als bemitleidenswerte Wesen (Opfer seines Schicksals). Beide Zuspitzungen sind inakzeptabel.

Verdichten sich solche Klischees in der Alltagssprache oder in den Medien?
Dort werden beispielsweise „Behinderungen gemeistert“, es ist die Rede von „Pflegefällen“ oder „Sorgenkindern“. So etwas sollte man anders ausdrücken. Darüber hinaus rate ich: Wenn sie mal jemanden treffen, der "an den Rollstuhl gefesselt“ ist, binden Sie ihn los! Soll heißen: Rollstühle sind keine Einschränkungen, sondern sehr praktische Fortbewegungsmittel.
Und noch etwas: Ich „leide“ nicht unter meiner Behinderung. Sie ist ein selbstverständlicher Teil meines Lebens, meiner Identität, meines Lifestyles.